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Quadriga: Kuratorium beharrt auf Preis für Putin

Ein Symbol soll er sein, Auszeichnung für jene, die ein „Vorbild für Deutschland“ sind: Der Quadriga-Preis, verliehen Jahr für Jahr. Für Aufsehen sorgte dies stets – für Aufregung aber nie. Bis jetzt. Denn nun soll ihn Wladimir Putin bekommen.

Es gab eine Zeit in Berlin, da glaubte man, dass Politik sich nur richtig inszenieren müsste, dann würden auch ihre Botschaften verstanden. Es war die Zeit, da die Hauptstadt entdeckte, dass sie Hauptstadt war und dass sie eine prächtige Kulisse hatte. Eine wie das Markttor von Milet. Oder das Ischtar-Tor, unter dem an diesem Sonntagabend im Oktober Tische rotgolden eingedeckt sind und das Buffet sich unter der Last türkischer Spezialitäten biegt. Cacik und Baklava gibt es reichlich. Zuhause ist, wo du zu essen kriegst, lautet eine türkische Redewendung. Und wie daheim soll er sich fühlen, der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan, der unter weißen Kordeln an einem Tisch residiert, umringt von Sicherheitsleuten. Ihm ist zuvor im Schauspielhaus der Quadriga- Preis verliehen worden. 2004 war das, Kanzler Gerhard Schröder hatte die Laudatio gehalten, sprach von Erdogan als „großem Reformpolitiker“. Ein Staatschef lobte einen anderen Staatschef als großen Europäer. Der gab das Lob zurück. Im Pergamonmuseum kommt die Show nach der Show. Die festliche Tafel steht unter Löwenköpfen und blau glasierten babylonischen Fliesen. Alles passt. So war die Zeit.

Nach sechs Jahren Merkel-Regierung glaubt kaum noch einer in Berlin an die Kraft des politischen Events. Auch deshalb ist das Befremden so groß, dass in diesem Jahr Wladimir Putin die Quadriga bekommen soll, einen Preis, der seit 2003 am Tag der Einheit an vier Persönlichkeiten verliehen wird, die „Vorbilder für Deutschland“ sein sollen. Putin, der Erfinder der „gelenkten Demokratie“, ein Vorbild für Deutschland? Da passt nichts mehr zusammen.

Dabei hatte es so gut angefangen, in einer Kreuzberger Kneipe. Dort hatten Anfang 1993 der SPD-Abgeordnete Klaus Riebschläger, die Publizistin Marie-Luise Weinberger und Sony-Geschäftsführer Richard Wagner die Idee einer Diskussionsreihe entworfen. Sie fanden, dass die positiven Impulse der Wiedervereinigung herausgearbeitet werden müssten – gegen den allgemeinen politischen Trend des Jammerns und Besserwissens. Am 10. Mai 1993 wurde dann die Werkstatt Deutschland im Café Möhring am Gendarmenmarkt ins Leben gerufen. Unter den sieben Gründungsmitgliedern waren Ost- und Westdeutsche. Der letzte Präsident der DDR-Volkskammer Lothar de Maizière war dabei, der Theologe Richard Schröder sowie Franz-Reinhard Habbel, der Sprecher des Städte- und Gemeindebundes. Im Sinn hatten sie den Geist der Wende und des Wandels. Man sah sich in einer pädagogisch-bürgerlichen Tradition der intellektuellen Auseinandersetzung. „Die Werkstatt Deutschland“, so steht es in der Satzung, „setzt ein Zeichen für aktiven Bürgersinn und fragt nicht, was der Staat für die Gesellschaft tun kann, sondern was der Bürger für das Gemeinwohl tun kann.“

Doch immer nur zu reden, reichte dem kleinen, aber prominent besetzten Verein nicht aus. Zeichen setzen, das ging auch effektiver. „So tolle Empfänge gab es sonst eigentlich nie“, sagt einer, der Anfang der Nullerjahre die Werkstatt Deutschland von ihrer neuen Seite kennenlernt. Das Signal der Humanität sollte sich 2003 erstmals in einer Preisverleihung zeigen. Die Quadriga war geboren und damit ein symbolischer Akt der Aufwertung für Leute, die eine solche Aufwertung selten nötig haben. Ausgezeichnet wurden neben Erdogan Staatslenker wie Hamid Karsai, Simon Peres, Helmut Kohl, Gerhard Schröder oder Boris Tadic.

Warum nicht auch Wladimir Putin?

Mitte Februar tagt in Berlin das Kuratorium, um über die Preisträger des Jahres 2011 zu beraten. Das Thema Russland habe man schon länger im Auge gehabt, heißt es heute aus Kreisen der Quadriga- Gesellschaft, schließlich sei 2011 der 70. Jahrestag des Überfalls von Hitler- Deutschland auf die Sowjetunion. Und der 20. Jahrestag des Zusammenbruchs der UdSSR. Überdies habe man die Suche unter das Motto „Leadership“ gestellt. Da habe Putin „gepasst“.

Erst Ende vergangener Woche wird massive Kritik an der Entscheidung des Gremiums laut. Es telefoniert am Montag in einer Schaltkonferenz und am Dienstag erneut. 15 Mitglieder hat der Rat offiziell, darunter Unternehmer sowie prominente Politiker wie Verkehrsminister Peter Ramsauer und JU-Chef Philipp Mißfelder. Aber er wird auch ständig umbesetzt, so dass jetzt Menschen mit einbezogen werden, die im Februar noch gar nicht dabei waren. Entscheidungen werden einvernehmlich getroffen. Bis gestern Grünen-Chef Cem Özdemir seinem Unmut öffentlich Luft macht. Aus Protest gegen die Putin-Ehrung tritt er aus dem Gremium aus. Am Dienstag Nachmittag lässt es wissen, dass es die Entscheidung für Putin nicht zurücknehmen will. Der russische Ministerpräsident werde „für seine Verdienste für die Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen“ geehrt.

Damit kriegt er einen Preis, der eigentlich nicht wichtig genug ist, um sich darüber aufzuregen. Andererseits wird er jetzt wichtig dadurch, dass er den falschen Preisträger hat für eine „staatspolitische Leistung“, die Vertrauen aufbauen soll. Man würde gerne wissen, wie es dazu kommen konnte.

Dienstagnachmittag, 14.40 Uhr: Anruf auf dem Mobiltelefon von Marie-Luise Weinberger. Sie ist von jeher treibende Kraft hinter der Werkstatt Deutschland und – als diese nach dem Unfalltod Riebschlägers 2009 verkümmert – hinter Großevents wie der Tafel der Demokratie, bei der die Bürger ihren Präsidenten zu einem Festmahl am Brandenburger Tor einladen. Auch hinter der Quadriga steht im Wesentlichen sie. Den Anruf nimmt sie entgegen, aber sie hat keine Zeit, Fragen zu beantworten, nicht jetzt. Sie ist mit Krisenmanagement beschäftigt. Irgendjemand muss den Russen wohl erklären, was die innerdeutsche Debatte plötzlich soll.

So sieht sie sich immer, sagen Leute, die mit ihr zutun hatten. „Ich rede mit Aga Khan“ ist so ein Satz aus ihrem Mund, der deutlich machen soll, dass sie die Sache regelt. „Ich rede mit Karsai.“ Immer ist sie es, die alles in der Hand hat und offenbar auch haben will.

Um geistige Orientierung geht es offenbar längst nicht mehr. Marie-Luise Weinberger wird nachgesagt, ohnehin kein politischer Kopf zu sein. Die energische Frau ist eine hartnäckige Netzwerkerin. Von der Statur eher klein, pflegt die braunhaarige Dame in ihrer dezenten Kleidung nicht unbedingt den Designer-Glamour der großen Event-Ladys. Dafür denkt sie groß. Sie war von Anfang an auf der Jagd nach großen Namen, um der Quadriga Gewicht zu verleihen.

Die Quadriga-Show sollte sich von Anfang an von den offiziellen Gedenkfeiern des 3. Oktober unterscheiden. Ein buntes Volksfest sollte es sein, Musiker aus ganz Europa wurden eingeflogen, um die Vitalität der Kulturen nach Berlin zu tragen. Die zentralen Einheitsfeiern gingen in den Ländern über die Bühne. Auch deshalb mussten große Namen her, um der Sache in der Hauptstadt Gewicht zu verleihen. Es kamen Lech Walesa und Vaclav Havel. Armin-Müller-Stahl bekam eine Quadriga für sein Lebenswerk als „Deutscher des Jahres“ und Marius Müller-Westernhagen, weil er das Lied „Freiheit“ geschrieben hatte. Selbst Wikipedia-Gründer Jimmy Wales konnte ihr keinen Korb geben, bekannte aber nach der Preisverleihung, dass er „wegen der fantastischen Hacker-Szene“ gern in Berlin sei.

Es ist nicht gleichgültig, wer einen Preis bekommt. Aber noch wichtiger ist, wer ihn vergibt und welche Kriterien dabei angelegt werden. Wenn man Weinberger erzählen hörte, konnte man meinen, Bill Clinton persönlich habe der Preisverleihung den Namen gegeben. „Quadriga“ sei seine Idee gewesen. Ein Blick aufs Brandenburger Tor, und schon sei ihm die zündende Einfall gekommen. Mit den Weihen des mächtigsten Mannes der Welt im Rücken wollte sie Aufsehen erregen. Mit allem, was sie vorhatte, wollte sie das. Wann immer man sie traf, leitete sie Sätze verheißungsvoll ein mit Worten wie „wir haben Gorbatschow“ oder „wir sind am Papst dran“. Wobei zum System Weinberger gehört, dass sie ziemlich überzeugend nerven kann, um ihre Ziele zu erreichen. „Wenn sie sich einmal etwas vorgenommen hat, dann hält sie unbeirrt daran fest, auch gegen alle Widerstände“, sagt ein früherer Preisträger. Auf den Gegenwind jetzt sei sie offenbar nicht vorbereitet gewesen.

Der Bürgerrechtler Wolfgang Templin ist erschüttert. „Das ist ein absoluter Skandal. Ich kann darin mitnichten eine Panne erkennen. Das ist Vorsatz.“ Besonders ärgert den langjährigen Weggefährten Bärbel Bohleys, die 2009 den Preis erhielt, dass es der ursprünglichen Intention komplett Hohn spreche, einen Versöhnungsbeitrag ausgerechnet Putin zu attestieren. „Die Bürgerrechtler sind entsetzt, auch die Osteuropäer sind entsetzt“, sagt Templin, jetzt Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau, und berichtet von unzähligen Gesprächen in den vergangenen Tagen mit hochrangigen Politikern und Diplomaten in Polen, die sich fragten, „was denn jetzt schon wieder los ist mit Deutschland“.

Auch im für die Finanzierung der Quadriga wichtigen „Freundeskreis“, der vorrangig aus Topmanagern der Wirtschaft besteht, ist man irritiert über das Vorgehen Weinbergers. Zwar wolle er sich in die Belange der Quadriga nicht einmischen, sagt Stefan Schreiter. Die Preisvergabe an Putin sieht der Vorstand des „Dualen Systems Deutschland“ aber „kritisch“. Schreiter sagt, sein Unternehmen unterstütze die Quadriga „mit einem Beitrag weit unter 15 000 Euro“.

Bis 2008 hatte Weinberger für die Kosten einer großen Inszenierung genügend Geld dadurch, dass der Energiekonzern Vattenfall Hauptsponsor war. Auch der Tagesspiegel begleitete die Quadriga-Preisverleihungen von 2003 bis 2005 mit Sonderbeilagen. Als der langjährige Sponsor Vattenfall absprang, mobilisierte Weinberger eine Reihe von neuen kleineren Sponsoren. Und als nach den ersten Preisverleihungen offenkundig wurde, dass Organisatorisches nicht zu ihren Hauptstärken zählt, fanden sich immer wieder Helfer, die es schafften, die Zeremonie in geordnete Bahnen zu lenken.

Ist ihr die Sache nun aus dem Ruder gelaufen?

Kurz nach 16 Uhr: Marie-Luise Weinberger meldet sich von ihrem Handy. „Natürlich“, sagt sie, habe das Kuratorium bei seiner Putin-Entscheidung Mitte Februar „gewusst, dass das Diskussionen mit sich bringen wird. Aber wir haben gesagt: Das müssen wir aushalten können, wenn wir eine offene Diskussionskultur wollen“.

Diese Diskussion kann Marie-Luise Weinberger nicht gewollt haben. Denn längst geht es nicht mehr um die Frage, ob Putin eine Ehrung dieser Art verdient hat. Sondern darum, dass ein kleiner Preis ganz groß hinaus will. Und es seinen Machern egal ist, mit welchen Maßstäben und um welchen Preis.

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